Separatismus hinter vorgehaltener Hand

Trotzdem aber waren die Männer nie ganz zufrieden mit ihrem Platz im Schatten des Kirchenchores. Einmal monatlich hielten sie im Anschluss an die Kirchenchorprobe noch eine separate halbstündige Männerchorprobe ab. Diese bescheidene Vereinsaktivität konnte den Männern auf die Dauer nicht genügen. War man auch damals, vor 30 Jahren, froh gewesen, dass die restlichen Mitglieder des serbelnden Männerchors Aufnahme im Kirchenchor gefunden haben und dort mitsingen durften, so kam doch mehr und mehr der Wunsch auf, sich wieder selbstständig zu machen. Die ersten ‚Separatisten’ befürchteten allerdings, mit ihren Ideen einen Dorfstreit auszulösen, und es fiel wohl manches verschwörerische Wort zuerst nur unter vorgehaltener Hand am Wirtshaustisch, bis im Jahr 1953 endlich offen ein Antrag gestellt wurde, der Männerchor sollte sich dem Bezirksverband Alttogenburg anschliessen. Dies wäre wohl mit einer Loslösung vom Kirchenchor einhergegangen. Prompt wurde aber dieser Antrag an der HV abgewiesen, und man beschloss, nur als Gastverein am Bezirksfest teilzunehmen.

 

An der HV 1954 greift der Präsident des Kirchenchores Alfons Isenring den Wunsch nach Autonomie wieder auf. Obwohl seit einiger Zeit kaum jemand mehr gewagt hat, mit solchen ketzerischen Gedanken Staub aufzuwirbeln, schlägt er erneut vor, dem Bezirksverband der Männerchöre beizutreten. Gleichzeitig aber mahnt er zu ‚friedlicher Zusammenarbeit’.

Endlich emanzipiert

Am 19. Juni 1955 wurde der Männerchor Cäcilia Gähwil erstmals im Bezirksverband Alttoggenburg willkommen geheissen. Drei Ausrufezeichen am Ende des Protokolleintrages zeugen vom Stolz der Männerchörler, dass sie nach 32 Jahren kläglichem Dasein im Schatten des Kirchenchores endlich wieder als eigenständiger Männerchor anerkannt sind.

Ohne CV!

Damit konnte sich der Männerchor erstmals wieder vom Kirchenchor Gähwil emanzipieren. In der nächstfolgenden Hauptversammlung 1956 wird denn auch ganz schüchtern und unscheinbar – man befürchtet immer noch, die alten Vereinskolleginnen vom Kirchenchor vor den Kopf zu stossen! – der Antrag gestellt, ‚den Namen „Cäcilia“ zu anulieren’.

Das neue Selbstbewusstsein des Männerchors zeigt sich in einem kleinen Detail: in der nächsten HV erscheint nach langer Zeit wieder der Name Männerchor Gähwil ohne den Zusatz CV (Cäcilienverein).

Von da an war der Männerchor Gähwil wieder ein eigenständiger stolzer Verein. Sofort wurde die Anschaffung einer neuen Vereinsflagge in Angriff genommen, denn die alte aus der Gründerzeit war längst von den Motten zerfressen.

Dem schlechten Gewissen vorbeugen!

Nicht ganz ohne Bitterkeit konnte der Kirchenchor die Abspaltung der männlichen Mitglieder hinnehmen. Immerhin haben aber viele Männerchörler auch weiterhin im Kirchenchor mitgemacht und hatten von nun an zwei Abende pro Woche ‚freien Ausgang’ . Trotzdem mussten die Männerchörler anfangs mit recht viel Imagepflege ihren Separatismus wieder gut machen: Man wollte sich mit vermehrten Ständchen zu allen möglichen Gelegenheiten im Dorf beliebt machen. Auch ging der Männerchor damals die ungeschriebene Verpflichtung ein, an bestimmten Gottesdiensten in der Dorfkirche aufzutreten und damit den Kirchenchor ein wenig zu entlasten. Heute schätzen die Männerchörler diese traditionellen Konzertgottesdienste in der Kirche sehr, und das Publikum belohnt die Arbeit der Sänger durch einen ebenso traditionellen Grossaufmarsch zum Gottesdienst.

Ein eigener Chef!

Als Präsident amtete in diesen vereinspolitisch delikaten Jahren Alfons Isenring, der gleichzeitig auch dem Kirchenchor vorstand. Das Protokoll der HV 1948 zeigt deutlich, wie schwer man sich auch hier tat, durch die Einsetzung eines eigenen Präsidenten den Männerchor vom Kirchenchor abzulösen:

Man löste das Problem sehr diplomatisch durch die Wahl von Alfons Isenring. Die Männerchörler hatten damit zwar ihren eigenen Präsidenten, dieser war aber gleichzeitig auch Präsident des Kirchenchores. Erst im Jahr 1960 war die Zeit reif, mit Emil Hollenstein einen unabhängigen Männerchorpräsidenten einzusetzen.