Was hat die Französische Revolution mit dem Männerchor Gähwil zu tun? – Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die kämpferischen Rufe nach ‚libertée, égalitée, fraternitée’ schon weitgehend verklungen. Die Demokratisierungswelle hatte hierzulande zuerst einmal zur Gründung von Volkschulen geführt. Bereits wenige Monate nach dem historischen Sturm auf die Pariser Bastille richtete Gähwil 1789 seine ‚Freischule Gähwyl’ ein, und unser Dorf gehörte damit zu den ersten eigentlichen Schulgemeinden, die sich in der Folge der Französischen Revolution konstituierten. Das kleine, abgelegene Dorf zeigte damals schon eine grosse politische Innovationsfreude, und bewies deutlich, dass es trotz seiner geografischen Randlage keineswegs hinterwäldlerisch dachte.
Beinahe ein Jahrhundert aber musste verstreichen, bis sich die Schlachtrufe der Französischen Revolution auch in der Dorfkultur der Toggenburger Dörfer abzuzeichnen begannen. Vereine galten im 19. Jahrhundert als Zeichen einer ausgesprochen fortschrittlichen politischen Haltung, und Männerchöre waren weit herum die ersten Vereine, welche sich der Pflege der Kultur verschrieben. Im alten Schulhaus von Gähwil versammelte sich am 28. November 1878 eine Schar initiativer Männer zur Gründung des Vereins „Männerchor Liederkranz Gähwyl“.
Bis zu dieser politischen Zeitenwende war die Musik in zwei Bereiche gespalten geblieben: Die Kunstmusik blieb ganz den höfischen und kirchlichen Kreisen vorbehalten und erreichte das Ohr des gewöhnlichen Menschen kaum, die Volksmusik war auf den kleinsten Familienkreis beschränkt und musste mit bescheidensten Mitteln auskommen, in den ärmlichen Familien blieb die eigene Singstimme meist das einzige verfügbare Instrument. Nun aber versuchten die neu gegründeten Männerchöre nach allen Regeln der Kunstmusik zu singen und so die Kunstmusik im Volk zu verbreiten.
Unter fachmännischer Direktion wurden die Lieder der klassischen und romantischen Komponisten einstudiert, man hörte gebannt von den Erfolgen von Mozart, man übte eifrig die vielstimmigen Chorpartien des grossen Beethoven und sang innig die romantischen Lieder von Schubert. So galten Männerchöre tatsächlich als die ersten Vorkämpfer für eine Demokratisierung der Kunstmusik.
Nicht mit Statuten und Protokollen begann die Chortätigkeit in Gähwil, sondern mit Gesang. Die ersten Männerchörler trafen sich ziemlich zwanglos zum gemeinsamen Singen im alten Schulhäuslein. Erst im zweiten Vereinsjahr wurde – nachträglich – noch ein Gründungsprotokoll verfasst:
So heisst die Umschrift des vollständigen, nachträglich verfassten Gründungsprotokolls:
Der Männerchor Gähwyl wurde gegründet den 28. Novembere 1878 im Vereinslokal (Schulhaus Gähwyl).
In der zweiten Gesangsübung wurden 5 Kommissionsmitglieder gewählt; den Präsidenten des Vereins in der Person des Herrn Lehrer Wenk; zum Aktuar Herrn Theodor Hubere; und zum Cassier: Herrn Albert Stillhardt. I. Schönenberger. J. L Imholz.
Der Lohn für den Dirigenten wurde vorderhand noch nicht bestimmt. Ferner wurden Aufgaben entworfen & von allen Mitgliedern einstimmig angenommen, woran sich jedes Mitglied zu halten hat.
Die erste Kommissionssitzung wurde den 16. Nov. 79 zur Krone dahier abgehalten. Da, laut Statuten Art. 6. die Kommission den Lohn für den Dirigenten zu bestimmen hatte, wurde, im Einverständnis mit demselben, sein Jahresgehalt auf Frs. 25 festgesetzt & angenommen.
Aus dem Männerchor entsprang zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine eigenständige Theatergesellschaft. Sie führte, unabhängig von den Konzerten des Chors, eigene grosse Theaterwerke auf:
Bald aber begann man Gesang und Theater zu grossen Unterhaltungsanlässen für das ganze Dorf zu kombinieren. Man mutete dem Publikum dabei grosse Ausdauer zu, begann doch die Abendunterhaltung zur Zeit des Ersten Weltkrieges schon am frühen Nachmittag:
Dienstags um 20:00 Uhr
Singsaal, Primarschule Gähwil